Ich ging eigentlich voll motiviert zum Engadiner Radmarathon. Wir hatten ein schönes Hotel reserviert und das Wetter sollte auch Bombe werden. Also konnte nichts mehr schiefgehen oder?

Ein paar Tage vorher
waren mir meine €1.000,- Mavic Rennradschuhe gebrochen. Ja die Schuhe kosten wirklich so viel. Zwar wurde mir zugesagt, dass der Schuh bis zum Rennen ausgetauscht wird, aber er kam 3 Tage zu spät mit der Post an. Für das Rennen musste ich mir ein Ersatzpaar auf die aktuelle Position einstellen. Wie jeder weiß, passt das leider nie zu 100%. Selbst wenn man 3 Stunden im Keller mit Schablonen und Schublehre sitzt. Aber egal, der Engadiner war ja nur ein Trainingsrennen für den Ötztaler. (zumindest erzählte ich das jedem).

Jetzt spulen wir mal vor, bis zum Start.
Nach dem Startschuss läuft soweit alles normal. Ich fühle mich gut und bin in der Spitzengruppe, habe alles unter Kontrolle. Es ist sogar Zeit für das ein oder andere Schwätzchen. Thomas Gschnitzer erzählt mir, das er heute keine Verpflegung hat. 200km und 4.000hm DAS geht nie. Ich biete ihm an das ich ihn mitverpflege, soweit das geht. Wir, Carmen und ich, waren ja nicht darauf eingestellt. Thomas freute sich und meinte, er habe 2 Flaschen im Gebüsch versteckt. Er müsse sie nur kurz holen und ich soll alle etwas bremsen.

Geil, der Typ hat Eier.
Nach ca. 1,5 Stunden sind wir in Livigno. Hier hat es Null Grad, Leck mich, die Gruppe wird grösser, weil gebummelt wird. Erst am Ortsausgang geht die Post ab. Die Jungs von der „kurzen Strecke“ brennen hier ein Feuerwerk ab. Jetzt heißt es dranbleiben. Wenn ich den Zug verpasse, dann kann ich ins Hotel fahren. Die „kurzen“ Jungs drehen voll am Rad. Es ist schon hart im Windschatten zu bleiben. Hoffentlich kommt endlich die Teilung.

Ich bekomme meine Verpflegung im Flachen, vor der Teilung.
Dann durch 2 Schotterbaustellen mit 50km/h. Alle schicken ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Reifen halten. Endlich, die Streckenteilung ist erreicht und die „kurzen“ sprinten sich ins Krankenhaus.

Jetzt wird’s ruhiger
denn wir haben ja noch 100km vor uns. Am dritten Anstieg gibt mir Thomas das Zeichen und ich schrei: „He Jungs, Pipi?“. Alle blieben stehen, bis auf einen Franzosen. Ja soll er fahren, es ist ja noch weit. Mittlerweile hat Thomas seine Flaschen getauscht und wir fahren weiter.

Der Franzose kam nicht weit. Nach dem dritten Berg fragt mich Thomas, ob er an meiner Verpflegungsstelle auch was bekommt. Ich: „Logisch. Hier meine Flasche ist voll. Nimm sie, ich kriege gleich eine neue von Carmen.“

Auf geht´s zum vierten Berg, ab hier geht das Rennen los.
Ich denke mir: „Probiere was heute geht und fahr eine Attacke.“ Das brachte gleich einen guten Abstand. Normalerweise würde ich so bis nach Hause fahren aber heute streikte der Motor. Die Zylinder stottern. Was ist los? Die Beine begannen an komischen Stellen zu krampfen. Oje, bloß nichts anmerken lassen, nur etwas rausnehmen. Scheiße, es hat nicht gereicht. Die anderen 4 Mitstreiter schließen wieder auf. Thomas erhöht das Tempo und ich fahr mit. Ich kann nicht aufgeben. Thomas fährt sehr angenehm, konstant aber schnell.

Ich schaue auf den SRM.
Kacke, das sollte normalerweise leichter gehen. Ich bin fertig. Thomas sagt zu mir: „Mathias fahr ohne mich, wenn es dir zu langsam ist.“ Meine Antwort: „Alter, ich bin tot. Mir tun die Beine weh. Ich weiß nicht was los ist.“ Thomas meinte, er fahre einfach konstant weiter. Ich soll versuchen dranzubleiben. Boah, wie nett ist der. Ich sagte ihm: „Wenn ich dranbleibe, dann gewinnst aber du.“ Gesagt, getan. Er sagte mir die Kilometer an, motivierte mich, wartete etwas.

Oh Mann Thomas.
Ich war ihm so dankbar, er hätte mich einfach stehen lassen können. Dann wäre ich im Kopf wahrscheinlich zerbrochen. Maximal wäre dann Platz 5 geworden.
Nach viel Quälen und stöhnen sind wir endlich oben. Gott sei Dank. Runter geht´s immer, da muss ich ja nichts tun. Kaum unten angekommen, wechseln wir uns im Flachen ab. Ich probiere zu helfen, wo ich kann.

Ich gebe alles.
Auf einmal reißt Thomas ab. Ich nehme raus, dreh mich um und frag was los ist. „Krämpfe. Mathias fahr weiter.“ sagte Thomas. Ich: „Auf keinen Fall, abgemacht ist abgemacht.“
Ich gebe ihm meine Flasche und mein letztes Gel. Es reich nicht. Ich frage das Führungsfahrzeug um ein Getränk. Er trinkt alles aus. Top es geht aufwärts und somit weiter. Wir Kämpfen uns bis zum Ziel durch. Thomas gewinnt an diesem Tag verdient.

Hut ab, Thomas, den Sieg hast du dir verdient. Danke das du so ein fairer Fahrer bist. Ich war total im Arsch.

Vielen Dank.
Euer Mathias  Nothegger

P.S. Just do it.



Zusammengefasst:
Engadiner Radmarathon 2018 zweiter Platz gesamt –  214km und 3.827 hm

Strecke:

Zernez – Ofenpass(2.149 m) – Livigno – Forcola di Livigno (2.315 m) – Berninapass (2.328 m) – Pontresina – La Punt – Zernez – Flüela Pass (2.383 m) – Davos – Alvaneu Bad – Albulapass (2.312m) – La Punt – Zernez

Live Zieleinlauf von Engadiner Radmarathon